Zur Aufmachung brauche ich glaube ich nicht mehr viel zu sagen. Für 20 € bekommt man einen Spielekasten, zwei einfache W10, zwei Hefte mit jeweils knapp 60 Seiten Umfang, eine Übersichtszeichnung des Dorfes Leet und eine Landkarte, welche einen kontinentalen Überblick bietet. Das Preis-Leistungsverhältnis kann man nicht hoch genug loben – insbesondere die Karten sind von herausragender Qualität und Größe. Auch die beiden Hefte sind sehr schön gestaltet. Vollfarbig gedruckt, übersichtlicher, klar geordneter Satz, schöne Illus. Alles top! Einzig der Einband der Heftchen hätte etwas dicker sein können als die normalen Seiten: So habe ich zum Schutz für's Lesen unterwegs im Zug Plastikhefter verwendet und am Spieltisch ist die letzte Seite leider abgeknickt.
Inhaltlich ist das Spiel einerseits gut gemacht, andererseits bereitet es mir immer wieder Schmerzen. Fangen wir mit dem positiven an.
EInsteiger werden richtig schön an die Hand genommen. Wie damals bei DSA1 wird der Leser in ein Solo-Abenteuer geführt. Das liest sich aus meiner Sicht etwas zu kindlich, gerade mit der förmlichen Ansprache des Lesers sind manche Passagen eher lächerlich. Das Solo ist nett, bietet deutlich mehr als nur einen drei-Raum-Dungeon und führt sanft in die Regeln ein, die immer wieder in den Text eingestreut sind. Hiermit kommt aber auch der erste Schmerz: Die Regeln sind dadurch verstreut und werden leider nicht strukturiert gesammelt. Wenn ich also nachschauen will, für was genau jetzt noch einmal das Attribut „Geschicklichkeit“ steht, muss ich den einführenden Fließtext auf Seite 3 durchsuchen. Wenn ich was über Intelligenz wissen will, schaue ich im Abschnitt „Attribute“ nach (in dem Stärke und Geschicklichkeit fehlen).
Apropos im Abschnitt „Attribute“ nachschauen: Ein Inhaltsverzeichnis und ein Index fehlen leider völlig, so dass man weder weiß, in welchem der zwei Hefte eine bestimmte Regel, die man noch im Hinterkopf hat, genau ausgeführt wird noch wo man sie dann innerhalb des Heftes finden kann. Auch das angehängte Glossar (löblich!) ist leider weitestgehend unbrauchbar (weniger löblich). So heißt es beispielsweise:
Zitat von Glossar:
Manöver
Jede gefährliche und kritische Situation kann durch den Würdel entschieden werden. Dieser Vorgang ist ein Manöver.Dass es auch besser geht, beweist:
Zitat von Glossar:
Blutung
Blutungen entstehen, wenn ein Vielfaches von 5 als Schaden erreicht wurde. Blutungen sind nur dann Spielbestandteil, wenn Sie sich dazu entscheiden (Regeloption).Zitat von Glossar:
Kampfbonus (KB)
Der Kampfbonus (KB) ist die Summe aus Rang in der Waffenfertigkeit, Attributsbonus des Attributs, das sich auf die Waffe bezieht, und anderen Effekten (wie Magie). Der KB kann in OB und DB aufgeteilt werden.Kommen wir zu den Regeln selbst. Ich persönlich finde sie unnötig kompliziert. Es ist das seit D&D 3 übliche „Würfel + Boni >= Mindestschwelle“, was auf den ersten Blick so schön einfach klingt, aber im Detail seine Tücken hat. Hierzu ein Beispiel aus den Regeln:
Zitat von Spielleiterheft, Seite 3:
Schleichen ist einfach (Grund-Manöverschwierigkeit von 8). Der Ork schläft sehr tief, was das Manöver um 4 erleichtert (Situationsmodifikation). Allerdings könnte er auch durch das Licht aufwachen (Erschwerung um 1 – Situationsmodifikation). Daher ist die MS in der Summe von Ihnen mit 5 festgelegt (8–4+1=5). Der Spieler muss 5 oder mehr erreichen. Wenn er nun zwei Ränge in List hat (+2) und einen Attributsbonus von +1 (Geschicklichkeit), reicht ihm bereits eine 2 auf dem Würfel: 2+2+1=5. Der Charakter trägt aber eine Rüstung, die eine Modifikation von –2 bedeutet. Eine drei würde ihm dann nicht mehr reichen: 3 (Würfel) + 2 (List) + 1 (Attribut) – 2 (Rüstung) = 4 und damit < 5. Er bräuchte nun mindestens eine 4 auf den Würfel (4+2+1–2=5).
Total simpel, oder? Mir erscheint das ehrlich gesagt als viel zu kompliziert. Mit ein bisschen gesundem Menschenverstand kann man den ersten Teil abkürzen und sagen: Schwierigkeit ist 5. Der zweite Teil dagegen ist leider nicht so ohne weiteres abzukürzen und nimmt bei der Auswertung einige Sekunden in Anspruch.Und wie verhält sich das Ganze am Spieltisch?
Die Charaktererschaffung in der Gruppe hat rund drei Stunden in Anspruch genommen; dabei haben wir kurze Vorgeschichten geschrieben, unsere Charaktere untereinander vernetzt und die Werte ermittelt. Auch in Hinblick auf eine spätere Steigerung über den Talentebaum. Das war jetzt nicht sehr langsam, aber auch nicht ungewöhnlich schnell. Den deutlich größten Teil der Zeit haben wir damit verbracht, den Hintergrund zu spezifizieren.
Auch der Anfang spielte sich recht gut: Manöver waren schnell erklärt, geklärt und auch gewürfelt. Die Auswertung dauerte merklich länger als z.B. bei D&D, aber nicht so lange wie Talentproben bei DSA. Es war im Spielfluss nicht störend.
Dann kam ein Kampf. Die Initiative hat schon Schwierigkeiten bereitet. Wie ist der Initiativebonus fürs Zaubern, wenn jemand keine Waffe in der Hand hält? Anders als mit Waffe? Oder: Beim Waffe wechseln sinkt die Initiative um 1. Okay. Aber was ist, wenn die neue Waffe einen anderen Initiativebonus hat? Wird der auch mit reingerechnet? Und wie ist das mit dem Defensivbonus gegen Fernwaffen oder Zauber? Rätsel über Rätsel, viele suchende Köpfe in den Regeln, kaum Lösungen in der kürze der Zeit. Insgesamt scheint mir das System recht wenig ausgereift und durchdacht zu sein, zumal die Beispiele oft nur die einfachst möglichen Fälle abdecken. Oder es ist alles da, wir waren nur zu blöd, die Dinge zu finden. Jedenfalls war es kaum möglich, den Kampf „by book“ zu spielen. Wir haben dann improvisiert.
Die Sache mit der Initiative (vorher in umgekehrter Reihenfolge ansagen, dann durchführen) ist auch etwas aufwändig. Erstens wird das bei vielen Kämpfern recht unübersichtlich, gerade für den SL ("Was wollte Ork 4 noch mal genau machen?"). Da brauchen wir unbedingt eine Strategie, die Dinge zu notieren, so dass alle am Tisch die Übersicht haben und sich auch an Position 8 in der Initiativereihenfolge erinnern können, was sie machen wollten. Auch ist mir total unklar, was passiert, wenn die angesagte Handlung unmöglich geworden ist. Das reicht von kleinen Änderungen ("Der Typ steht jetzt einen Meter weiter rechts") bis zu großen ("Okay, mein Gegner ist verschwunden").
Das Kampfbeispiel übrigens geht überhaupt nicht auf das Ansagen ein – hier wird wie bei anderen Systemen auch in der Reihenfolge der Innie einfach drauflos gehauen.
Fazit
Schön, dass es Aborea gibt. Der Einstieg in die Rollenspielwelten ist wieder ohne eine erfahrene Gruppe oder Rollenspiel-Diplom möglich. Leider hat das System viele Schwächen, unter denen Spieler leiden werden. Ich denke, wir bleiben noch eine Weile dabei und werden uns das System so schleifen, dass es zu uns passt.Aber ob Aborea mit seinem schönen Schein auch auf Dauer Käufer gewinnen kann, ist fraglich. Meiner Meinung nach muss viel Arbeit investiert werden, vor allem in Sachen Konsistenz und Übersichtlichkeit.